Modebureau Silke Bücker

Für immer PunkDOWNLOAD PDF

YOHJI YAMAMOTO zählt neben Rei Kawakubo und Issey Miyake zu den Begründern der Avantgarde, jener Generation von Modedesignern, die das Metier in den 80er Jahren sprichwörtlich auf links drehte – ihre dekonstruktivistischen Kreationen und ihre radikale Formensprache stellten zum ersten Mal die Frage nach dem Sinn, nach der Funktion von Bekleidung im Kontext mit dem Individuum und seiner Umwelt. Schon vor einigen Jahren wollte sich der jetzt 71-jährige Yamamoto zur Ruhe setzen, weil er das Gefühl hatte, er habe all dem nichts mehr hinzuzufügen. Doch angesichts der irrsinnigen Entwicklung der Mode hin zu einer absurden Wegwerfindustrie sah er plötzlich wieder seinen Raum – und bis heute bleibt es ihm ein Anliegen, ein Anti-Statement zu setzen und nebenher Mode für eine kleine Ewigkeit zu kreieren. Der Designer, der gerne Hut und meist Schwarz in all seinen Facetten trägt, zeigte sich zuletzt anlässlich der Präsentation seiner aktuellen Sommerkollektion in Paris, die sich auf sensible Weise mit dem Spiel von Entblößung und Verhüllung auseinandersetzt, virtuos und einflussreich wie lange nicht.

QVEST: Yohji Yamamoto, die Mode ist ein schnelllebiges und gnadenloses Geschäft. Sie hingegen sind als sehr besonnen bekannt, ein Mann, der niemals die Contenance verliert. Wie gelingt Ihnen das, insbesondere in stressigen Augenblicken, etwa vor einer Modenschau?

YOHJI YAMAMOTO: Um ehrlich zu sein, empfinde ich vor meinen Shows keinen besonderen Stress. Ganz einfach, weil es für Anpassungen oder Veränderungen ohnehin zu spät ist, wenn wir einmal in Paris angekommen sind. Dafür fühle ich mich Monate vor der Show stark unter Druck. Womöglich ist der Moment, in dem ich beginne, über eine neue Kollektion nachzudenken, der stressigste im gesamten Prozess.

In einem Interview mit »The Talks« bekundeten Sie, dass Sie vor wenigen Jahren das Gefühl hatten, Ihre Karriere beenden zu wollen. Angesichts der vorherrschenden Fast-Fashion-Mentalität haben Sie sich jedoch entschlossen, weiterzumachen. Wie ist Ihr Blick auf die Branche im Moment und wie bewerten Sie die Chancen junger Designer in dem Zusammenhang?

Es ist für junge Designer heutzutage nicht leicht, erfolgreich am Markt zu bestehen. Auch die führenden Department Stores sehen sich schwierigen Zeiten gegenüber, das ist Fakt. Junge Designer in Japan verlieren ihre Jobs. Sie pflegten sich zusammenzutun und gemeinsame Showrooms in Paris zu organisieren, um auf internationale Einkäufer zu treffen. Aber seit dem Lehman-Brothers-Schock ist das Geschäft hart geworden. Die japanischen Kaufhäuser haben kein großes Interesse daran, junge Designer aus dem eigenen Land zu unterstützen, und renommierte Multibrand-Boutiquen schmücken sich in erster Linie mit europäischen Namen. Und durch die Reduzierungen wird jeglicher Gewinn noch einmal deutlich minimiert. Mit dem, was übrig bleibt, gilt es dann, die Mieten zu bezahlen und die Produktion am Laufen zu halten. Zunehmend überschwemmt Wegwerf-Mode die internationalen Märkte, während gleichzeitig der Anteil an Designer-Kreationen graduell immer geringer wird. Es scheint die größte Herausforderung unserer Zeit zu sein, Mode so günstig wie möglich zu produzieren. Dies mag in gewisser Hinsicht eine interessante Aufgabe sein und ich muss gestehen, dass auch ich es als reizvoll empfinde, an Kollektionen dieser Art zu arbeiten. Etwas zu entwerfen, das am Ende deutlich teurer aussieht, als es tatsächlich in der Herstellung war, dahinter steckt ein hohes Maß an Kreativität. Das Problem ist bloß, dass es kaum mehr ein Gegengewicht gibt, um die Balance zu halten.

Was wünschen Sie der Mode also am allermeisten?

Aus den oben genannten Gründen kann ich leider nicht allzu optimistisch sein. Ich denke, es ist wie überall. Die junge Generation wurde entmystifiziert, und wir als die Älteren sind in hohem Maße dafür verantwortlich. Wir haben diese Entwicklung provoziert, in der Euphorie und Unschuld unserer Zeit.

Nichtdestotrotz: Kann Mode immer noch provozieren? Und halten Sie dies überhaupt noch für relevant?

Natürlich vermag Mode das, und ich halte es für absolut notwendig! Jede Art von kreativem Ausdruck sollte die Menschen dazu bewegen, sich selbst Fragen zu stellen. Aber es wäre genauso gut, wenn einfach alles zerfallen würde. Dann könnten wir etwas komplett Neues aufbauen!

Stimmen Sie zu, dass der Einfluss japanischer Designer wieder zunimmt? Könnte dies insgesamt einen Anstoß liefern, weniger kommerziell zu arbeiten und mehr Mut zu einem individuellen Ausdruck zu finden?

Sehen Sie die Japaner so? Das würde ich nicht unbedingt bestätigen, liegt aber vielleicht daran, dass ich in Tokio lebe und der japanische Markt insgesamt natürlich auch sehr kommerziell ausgerichtet ist. Auch bei uns regieren die Department Stores. Umso mehr schätze und ehre ich Ihre These natürlich.

Wie gefallen Ihnen junge aufstrebende Designer Ihres Landes wie etwa Chitose Abe und ihr Label Sacai, die sich an der Grenze von Avantgarde und Tragbarkeit bewegt?

Um ehrlich zu sein, weiß ich darüber nicht allzu viel, ich habe nur mitbekommen, dass die Marke außerhalb Japans sehr erfolgreich performt.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie den Begriff »Avantgarde« ablehnen. Wieso das?

»Avantgarde« ist heutzutage nicht mehr als eine sehr kleine Kategorie in der Mode. Der Begriff wirkt inzwischen so billig und gleichzeitig anmaßend. Ich hasse das! Aber dennoch, ich glaube nach wie vor sehr stark an den Geist der Avantgarde. Daran, einen Gegenentwurf zu traditionellen Werten zu kreieren. Und das ist keine Sentimentalität. So lebe ich. Rebellion. Einfach, weil ich es nicht ertragen kann, wie konservativ die Menschen geworden sind.

Sie produzieren Ihre Kollektion konsequent in Japan, was vergleichsweise teuer ist. Was bedeutet das Prädikat »Made in Japan« für Sie?

Ich habe mich in letzter Zeit immer wieder gefragt, wohin sich unser Land, auch im Vergleich zu anderen asiatischen Ländern, entwickelt hat. Wir stehen nach wie vor unter amerikanischem Militär-Einfluss, und ich bin nicht sicher, ob wir uns wirklich als absolut unabhängige Nation bezeichnen können. Dieses Gefühl begleitet mich schon seit meiner Kindheit, ebenso wie die Frage, worauf man als Japaner stolz sein kann. Wir wurden zu einer führenden wirtschaftlichen Macht mit der schönen Vorstellung, dass ganz Japan diese Mittelklasse-Mentalität hätte. Doch Fakt war, dass die Arbeitskraft insgesamt teurer wurde, genau wie »Made in Japan«-Produkte. In der Konsequenz wurde die Produktion zunehmend ins Ausland verlagert. Bis heute werde ich oft gefragt, warum japanische Produkte so viel kosten, und ich betone immer wieder, dass das nicht nur an den hohen Lohnkosten, sondern auch an denen für Sourcing und Material liegt. Unsere Fabriken und Nähereien arbeiten zu absolut fairen Konditionen, aber wenn wir Produkte exportieren, müssen wie Transportkosten und Steuern natürlich dazu addieren. Es ist so anstrengend geworden, immer wieder dieselben Fragen zu beantworten. Also sagen ich ihnen: »Kümmert euch nicht drum, das ist Design!« Schließlich kaufen die Japaner ja auch all diese Produkte der großen europäischen Brands, ohne sich über das Pricing zu beschweren, oder etwa nicht?

Ihre neue Sommerkollektion spielt auf kluge Art und Weise mit den Prinzipien von Verhüllung und Entblößung. Damit kehren Sie ein Stück weit zu Ihrer Ursprungsidee zurück, explizite Weiblichkeit hinter Stoff zu verstecken, interpretieren diese aber heute gänzlich neu.

Es ist so ein wahnsinniger Balance-Akt, den richtigen Grad von Verhüllung und Entblößung zu finden, wenn es um den Körper der Frau geht. Wenn man eine gewisse Grenze überschreitet, geht alles dahin, und nichts bleibt übrig. Das mag sich jetzt anhören wie das Gejammer eines alten Mannes, aber ist es nicht abgefahren, wie extrem sich junge Frauen heutzutage entblößen?
Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass echter Sex-Appeal im Verborgenen liegt. Alles zu zeigen ist definitiv nicht sexy. Das hat in meinen Augen eher den gegenteiligen Effekt. Andererseits… es soll Jungs geben, die das anmacht. Ein derart vordergründiger und primitiver Sinn für Sexualität… so, als würde man das Vorspiel weglassen und direkt zur Sache kommen.

Das Thema Androgynität zieht sich wie ein roter Faden durch Ihr Schaffen. Was fasziniert Sie so am Spiel mit den Geschlechtern?

Über Geschlechter denke ich direkt gar nicht nach. Mir ist wichtig, dass sich die Person, die meine Kleidung trägt, stark und selbstbewusst darin fühlt. Ich darf gar nicht zu vorsätzlich, zu akkurat werden. Denn für mein Empfinden entfaltet sich die wahre Weiblichkeit einer Frau erst dann, wenn sie sich von der Idee verabschiedet, irgendwem gefallen zu wollen. Umso mehr sie eine Absicht vergisst, umso mehr strahlt die Faszination ihres Wesens aus ihrem Innersten heraus. Am Ende geht es mir also darum, Frauen stärker zu machen. Ich bin weniger daran interessiert, Geschlechtergrenzen auszuloten.