Modebureau Silke Bücker

A Distant State of MindDOWNLOAD PDF

Designerdebüts, die einschlagen wie eine Bombe, sind selten geworden in Zeiten von modischer Übersättigung und ermüdender Reizüberflutung. Es sei denn, man macht es von Grund auf anders. So geschieht es beim von Demna Gvasalia ins Leben gerufenen Pariser Designerkollektiv Vetements. Das Anderssein beginnt schon beim Markennamen, der banaler kaum sein könnte, denn er tituliert schlicht das, worum es geht: Bekleidung.

Für Menschen mit einem Auge für das Besondere, für Details und Referenzen zwischen Pop und Poesie, die all der textilen, effekthascherischen Oberfläche überdrüssig sind und sich Mode fürs Leben wünschen. Dabei avanciert die Tragbarkeit zur Herausforderung, die man so lange vermisst hat. Menschen, die Vetements verstehen und mögen, möchten sich keinen Stil aufoktroyieren lassen, sondern haben ihren schon gefunden, sie möchten Kleidungsstücke nicht suchen sondern entdecken – um sie dann in einem individuellen Mix zu einer neuen Einheit zu formieren. Diese Spezies gibt es, und zwar zunehmend wahrnehmbarer – insofern trifft Vetements mit seiner Anti-Mode perfekt den Zeitgeist. 44 Boutiquen weltweit kauften das Label vom Fleck weg für den Sommer 2015 ein, zur anstehenden Herbst-Winter-Saison sind es fast doppelt so viele. Die Leitmotive heißen Übertreibung, Patchwork, Recycling, Dekonstruktion und das Referieren auf tradierte Codes der Popkultur – die der aktuell 13-köpfige Kreativ-Zirkel eindrucksvoll und mitunter radikal zu interpretieren versteht. Radikal auch die Inszenierung.

So fand die erste Show – untermalt von treibenden Stakkato-Beats – in einem Pariser Schwulenclub statt. Dekadenz und Trash, eine konträre Liaison, nach der die Meute seit jeher lechzt. Ein bisschen Dreck, Straße und Rock’n’Roll inmitten all der weichgespülten Perfektion, zu der die Mode vielerorts verkommen ist. Mäntel, Bomberjacken oder Jacketts mit weit überschnittenen Schultern, in denen die Trägerin fast versinkt, banale Blümchenkleider zu knalligen Gummihandschuhen, das ikonische Trasher-Sweatshirt der Skater-Kultur oder die typisch hautenge, seitlich geschnürte Lederhose der Punkrock-Ära in Neuinterpretation. Es ist nicht zuletzt auch der krude Stilmix in Verbindung mit einer selbstbewussten Scheißegal-Attitüde, die die Aufmerksamkeit bannen. Vergleiche mit den Anfängen des Maison Martin Margiela oder auch den frühen Ideen von Raf Simons sind legitim – jedoch gelingt Vetements die Transferleistung hin zu einer geradezu pragmatischen Idee von Mode, Verzeihung, Bekleidung.

Lassen wir nun den Initiator sprechen, über Beweggründe, Visionen und seinen differenzierten, schonungslosen Blick auf die Industrie, die er bedient, ohne sich wirklich als Teil davon zu fühlen.

Demna, wie so viele geniale Querdenker der Mode hast auch Du an der Akademie in Antwerpen studiert. Wie war das für Dich?

Die Zeit dort war eine – sagen wir – alternative Zeit. Wir hatten weder Mittel noch Geld. Die Modeakademie war wie eine Spielwiese für Kinder, wir durften uns austoben. Wir hatten keine Ahnung von dem, was wir taten, keinerlei technischen Background. Wir bekamen weder Nadeln noch Nähmaschinen und mussten eigene Wege finden, unsere Ideen umzusetzen. Gerade dieses Prinzip macht die Ausbildung dort so besonders. Sie vermitteln dir bewusst keine technische Basis, erlauben dir aber dafür, dein kreatives Potenzial voll auszuschöpfen.

Wie sehr hat Dich Antwerpen als Modestadt inspiriert?

Sehr und vor allem nachhaltig. Die gesamte belgische Herangehensweise an Mode, das Nicht-Akademische, Dekonstruktive, Spielerische und Kreative ist mir stete Inspiration. Natürlich ist Vetements auch vom Erbe der Achtziger und Neunziger Jahre beeinflusst. Das Werk der »Antwerp Six« und anderer Designer dieser Ära ist bis heute präsent.

Wieviel davon ist heute Teil des VETEMENTS-Konzepts?

Unser Ausgangspunkt ist die Reflektion und Recherche dessen, was Menschen tragen, warum und wie sie es tragen oder wieso sie dieses eine bestimmte Kleidungsstück besitzen wollen. Was gibt ihnen dieses Stück Mode, repräsentiert es eine individuelle Message oder steckt es einen sozialen Rahmen ab – all diese Fragen stellen wir zu Beginn des Designprozesses – und versuchen Antworten zu finden. Dann verleihen wir diesen Antworten eine textile Form. Wir arbeiten oft mit bereits bestehenden Kleidungsstücken. Wir möchten nicht zwingend etwas kreieren, das es noch nicht gibt. Es ist eine Art Rekreation der Dinge, die wir mögen. Wie es übersetzt und in die Jetztzeit transferiert wird, das ist die kreative Herausforderung.

Du sagtest, dass Ihr die Art und Weise wie Menschen Mode konsumieren, reflektiert. Kannst Du ein Beispiel nennen?

Es ist eine voyeuristische Herangehensweise, wir möchten interpretieren, wie Mode auf der Straße, im echten Leben konsumiert wird. Nicht auf dem Roten Teppich, von Prominenten oder einem deklarierten Modekontext. So avanciert die Kleidung junger Leute, besonders im globalisierten Social-Media-Gefüge, zu einer urbanen, sozialen Uniform.

Ihr bezieht Euch also auf Jugendkulturen?

Ja, aber auf sehr unterschiedliche. Sie müssen dabei nicht zwingend zeitgenössisch sein. Ob Rave-, Hip-Hop- oder Skaterkultur – Hauptsache, wir können uns selbst damit in irgendeiner Art und Weise identifizieren.

Wie ist Deine Sicht auf die kommerziell orientierte High-End-Fashion-Industrie?

Ich empfinde diese Industrie als sehr widersprüchlich. Unsere Kleidung möchten die Menschen kaufen und tragen, der Herangang ist klar kommerziell motiviert. Bei einem Gros der Luxusmarken hingegen scheinen die Kollektionen vor allem für die Show gemacht zu werden. Diese Mode soll verkaufbar sein, ist es aber am Ende gar nicht. Man versteht die Message dahinter nicht mehr. Es mag nett sein, diese Looks im Rahmen eines Defilés anzuschauen, aber möchte man wirklich etwas davon im Schrank haben? An der Stelle wird Mode für mich überflüssig, ich finde das sinnlos.

Wenn Du könntest, wie würdest Du das System verändern?

Das größte Problem ist der Überkonsum. Der Markt ist übersättigt – es gibt viel zu viel Bekleidung. Alarmierend daran ist, dass die Industrie versucht, den vermeintlichen, letztlich selbst provozierten Bedürfnissen nachzukommen, indem sie mehr Mode herstellt und in immer schnellerer Taktung am Markt platziert, um mehr Geld zu machen. Für mich hingegen bedeutet Kreativität, Ideen zu entwickeln und wachsen zu lassen. Das braucht Zeit.

Ist die Zeit reif für einen radikalen Paradigmenwechsel?

Leider denke ich, dass die Zeit, in der wir leben, für radikale Veränderungen ungeeignet ist. Die Veränderung wird eintreten, aber es wird noch dauern.

Ihr folgt dem System insofern, als dass Ihr Euch an den Saisons orientiert. Ihr könntet einen Weg finden, Euch davon zu befreien.

Das wäre in der Tat eine sehr komfortable Arbeitsweise. Das einzige Problem ist, dass es bestimmte Zeiten im Jahr gibt, zu denen wir Kleidung verkaufen können. Also müssen wir eine neue Kollektion während der Fashion Week zeigen, weil die Einkäufer zu diesem Zeitpunkt mit einer bestimmten Erwartungshaltung nach Paris kommen. Wir sind Teil dieses Systems, arbeiten aber auf unsere eigene Weise.

Ihr wollt Eure Mode ja auch auf der Straße sehen …

Ja, das ist das ultimative Ziel. Wir müssen also das System ein Stück weit akzeptieren.

Warum habt Ihr Euch entschieden, von Paris aus zu agieren?

Die meisten unserer Designer haben ihre Basis in Paris und hatten oder haben parallel noch einen anderen Job, den sie nicht aufgeben konnten oder können. Es gab insofern nur diese Option. Ich empfinde den Standort als Privileg, denn Paris ist einfach DIE Modestadt. Hier etwas Neues entstehen zu lassen, ist wahnsinnig spannend und inspirierend. Natürlich ist es auch herausfordernd. Alles ist teuer und komplizierter, aber die Vorteile sind unbezahlbar. Es ist der perfekte Ort für ein Label wie Vetements.

Aktuell arbeiten 13 Designer bei VETEMENTS. Warum dieses System?

Mit so vielen Menschen zusammen zu arbeiten, kann sehr komplex sein. Logischerweise treffen zunächst viele subjektive Meinungen und Sichtweisen aufeinander, was wiederum in einem Produkt resultiert, das demokratischer ist und insofern mehr Menschen anspricht. Wir möchten ein breites Publikum begeistern. Davon abgesehen macht es einfach mehr Spaß, in einem Kollektiv zu arbeiten.

Sprechen wir über die Kollektion. Einerseits kultiviert Ihr die Übertreibung in Bezug auf die Silhouetten, auf der anderen Seite geht es Euch um Tragbarkeit. Wie gelingt die Balance?

Wir arbeiten mit dem Element der Dekonstruktion. Schließlich können wir keine gewöhnliche Bomberjacke anbieten, die man überall kaufen kann. Wir überlegen uns also, welche Proportion oder Silhouette wir dekonstruieren, um die Bomberjacke damit zu etwas Einzigartigem zu machen. Unsere Kollektionen spielen mit Oversize-Elementen, die sinnbildlich für die Verfremdung der Silhouette stehen. Den Aspekt der Tragbarkeit fordern wir durchaus bewusst heraus. Davon abgesehen ist ein übergroßer Mantel immer ein Statement, das eine starke Attitüde verleiht.

Ist das Motiv der Rebellion Teil Eurer Idee?

Es ist schwierig, heute ein Rebell zu sein, da kaum noch etwas zu schocken vermag. Wir distanzieren uns in jedem Fall weitestgehend davon, uns an etablierten Strukturen zu orientieren. Darüber hinaus fokussieren wir das Motiv der Hässlichkeit, die per se ein rebellisches Moment beinhaltet. Die Rebellion ist aber nicht Teil unserer Strategie, vielmehr ein natürlicher Prozess.

Wen möchtet Ihr mit Eurer Mode erreichen?

Momentan gestaltet es sich eher so, dass wir viele verschiedene Konsumenten ansprechen beziehungsweise verschiedene Altersgruppen. Es beginnt bei http://silkebuecker.de/wordpress in den frühen Zwanzigern und erstreckt sich bis hin zu Frauen, die über 60 sind. Es ist sicherlich eine Person, die nicht »dressy« ist, also sich nicht verkleidet, um aufzufallen, zu verführen, oder gar in ein bestimmtes Gefüge hinein zu passen, sondern eine Person mit einem starken eigenen Stil und einer nonchalanten, coolen Attitüde. Am Ende des Tages sind das Menschen, die ihren eigenen Look kreieren.

Bei so vielen kreativen Kräften, die bei VETEMENTS zusammenwirken: Gibt es eine Art Manifest, nach dem Ihr Euch richtet?

Wir arbeiten nach dem Manifest der Freiheit, denn das ist der Nährboden für die besten Resultate.

Also kann praktisch jeder machen, was er will?

Zunächst ja, später im Prozess arbeiten wir am Fitting Model und reflektieren, was in welcher Form miteinander funktioniert von den Teilen die wir kreiert, gefunden oder gekauft haben. Dann diskutieren wir darüber, was uns gefällt und fokussieren uns darauf, was die Rezipienten gerne tragen würden und nicht darauf, was unserem eigenen Geschmack entspricht. Das Fitting steht unter dem Überbegriff von Tragbarkeit und Zeitgeist.

Tragbarkeit bedeutet auch Erschwinglichkeit. Mit Verlaub, aber eure Kreationen sind ganz schön kostspielig.

Unsere Preisspanne im Rahmen einer Kollektion ist sehr weit gefasst, letztlich hängt es vom Produkt ab. Es gestaltet sich derzeit leider noch schwierig, die Kollektion niedriger zu kalkulieren.

Würdet Ihr das gerne?

Ja, in jedem Fall. Wir würden gerne erschwinglichere Mode anbieten, um auch »durchschnittlichere« oder jüngere http://silkebuecker.de/wordpress erreichen zu können. Das ist etwas, an dem wir arbeiten, aber das Problem sind derzeit noch Stichworte wie Sourcing, Produktion und nicht zuletzt die Qualität, bei welcher wir keinerlei Kompromisse eingehen möchten.

Wo produziert Ihr?

In erster Linie in Frankreich und Italien. Aber auch in Portugal und der Türkei.

Du hast unter Nicolas Ghesquière für LOUIS VUITTON gearbeitet. Inwiefern hat dich diese Zeit geprägt?

Natürlich war es interessant, für ein Modehaus dieses Kalibers zu arbeiten, das eine solche Fülle an Ressourcen bietet. Ich konnte unter diesen Voraussetzungen perfekt filtern, was, beziehungsweise was ich nicht bei Vetements umsetzen möchte. Es ist schon beeindruckend zu erleben, wie eine solche Maschine funktioniert, vor allem wenn es um Vertrieb, Merchandising und die Präsenz der Marke am Markt geht. Nicolas bei seiner Arbeit zu beobachten war faszinierend, er arbeitet wie ein Chirurg – sehr präzise, perfektionistisch und technisch versiert.

Was hast Du wiederum in Deiner Zeit beim MAISON MARTIN MARGIELA gelernt?

Dort wurde mir beigebracht, das Kleidungsstück auf eine gewisse Weise zu idolisieren.

Was letztlich zu Eurem kreativen Ausgangspunkt passt, der weniger die Idee einer gesamten Kollektion fokussiert, vielmehr das Einzelstück. Wenn Du ein Wort für den Look, den Ihr kreiert, finden müsstest, welches wäre das?

Der Überbegriff ist definitiv Garderobe, in einer modernen und zeitgenössischen Interpretation. Wir arbeiten tatsächlich mit Kleidungsstücken. Es ist fast so, als würde man bei einer Person in den Kleiderschrank schauen und aus der Fülle dieser verschiedenen Teile entsteht eine neue Kollektion.

Ich habe gelesen, dass Ihr ganz bewusst versucht, Trends zu negieren. Ist das überhaupt möglich?

Ein Trend wird auf so viele Weisen interpretiert, dass man sich gar nicht mehr mit ihm auseinandersetzen möchte. Es ist einfach ermüdend. Wir versuchen, uns davon zu distanzieren. Wir denken nicht in der vorgegebenen saisonalen Struktur, sondern möchten etwas anbieten, woraus man einen persönlichen Look kreieren kann. Man könnte es als Anti-Trend verstehen.

Wieviel Anteil der Kollektion basiert auf neuen Stoffen, wieviel auf Recycling?

Der Großteil unserer Kollektion ist neu. Aber selbst die neuen Stoffe folgen keinem Trend, sondern sind sehr spezifisch ausgesucht. Wenn wir beispielsweise einen Trenchcoat produzieren, dann suchen wir ausschließlich nach einem ganz bestimmten Material für diesen Zweck. Wir versuchen, einem Kleidungsstück auf den Grund zu gehen und es mit authentischen Stoffen umzusetzen.

Es scheint, dass derzeit eine neue Designergeneration entsteht, der es vor monetären Beweggründen wieder verstärkt darum geht, kreative Botschaften zu formulieren.

Ich denke auch, dass wir uns inmitten eines Wandels befinden. Es ist die perfekte Zeit für Visionen. Das ist sehr motivierend nach einer Phase, in der es in der Mode an wirklich kreativen, eigenständigen Ideen gemangelt hat.

… es ist aber auch eine schwierige Zeit für junge Designer.

Ja, es ist eine sehr wettbewerbsintensive Zeit. Es bedeutet eine große Herausforderung, im Endeffekt in den Läden zu hängen, entdeckt und gekauft zu werden. Aber es ist möglich.

In Deutschland sehen wir uns dem Problem ausgesetzt, dass es den Einkäufern an Mut zum Experiment mangelt. Etwas wirklich Neues und Inspirierendes sucht man vielerorts vergebens.

Ich denke, dass dieses Problem ein sehr spezifisches des deutschen Marktes ist. Erst wenn eine Marke etabliert ist, wird sie eingekauft, in Amerika beispielsweise läuft das ganz anders. Dort wird unsere Kollektion seit der ersten Saison geordert und das ohne, dass wir überhaupt eine Show gemacht haben. In Deutschland dauert es mit der Akzeptanz deutlich länger. Letztlich bestimmt der Konsument den Einkauf durch seine Wahl natürlich mit.

Denkt Ihr über einen eigenen Store nach? Ich stelle es mir toll vor, das Konzept von VETEMENTS noch mit architektonischen Elementen zu unterstreichen …

Wir spielen natürlich mit diesem Gedanken. Und sicherlich würden wir einen Fokus auf die architektonische Gestaltung legen, darüber hinaus auf die Präsentation unserer Kleidungsstücke als Objekte. Auf diese Weise könnten wir unsere Vision perfekt inszenieren.