Modebureau Silke Bücker

»Die Modemaschine droht durchzudrehen«DOWNLOAD PDF

Der belgische Designer Dries Van Noten über Atemlosigkeit, Größenwahn und Öko-Illusionen seiner Branche – und die Frage, weshalb Fashion trotzdem so magisch ist.

Riesen müssen nicht groß sein. Wenn es zum Beispiel um schnöde Zahlen wie Umsatz geht, ist Dries Van Noten im internationalen Modegeschäft eher ein Zwerg. Aber sein Einfluss auf die Branche kann dann wiederum kaum überschätzt werden: Was der Belgier regelmäßig an stilistischen Überraschungen und Inszenierungsideen liefert, lässt auch andere Designerstars aufhorchen, seit er 1986 seine erste Kollektion präsentierte. Damals noch als Teil der berühmten „Antwerp Six“, zu denen auch Ann Demeulemeester und Dirk Bikkembergs gehörten.

Von diesen sechs ist Dries Van Noten der Bekannteste, aber in seinen Erfolgen auch der Stetigste geworden, obwohl er sich wie wohl kaum ein anderer in jeder Kollektion völlig neu erfindet. Es geht ihm um Mode als universelles Vokabular, das sich aus unendlichen Quellen der Inspiration speist. Eine Sammlung von Fragmenten verortet zwischen Kunst, Kultur und jedweder Interpretation von Pop. Dabei kultivierte er den Stilbruch als Stilmittel, verbindet maskuline Strenge mit üppiger Opulenz, Punk-Insignien und Couture-Silhouetten. Seine Mode ist Kontrast, ohne laut zu werden.

Kein Wunder, dass er mittlerweile alle wichtigen Fashion-Preise gewann, von Belgiens König Philippe für seine Verdienste mit dem Titel eines Barons und im Pariser Musée des Arts Décoratifs mit einer Retrospektive namens „Inspirations“ geehrt wurde. Im vergangenen Jahr überraschte Dries Van Noten einmal mehr, als er Christian Lacroix einlud, mit ihm eine Kollektion zu entwerfen. Lacroix zog sich einst völlig aus dem Business zurück, nachdem seine gleichnamige Haute-Couture-Marke hatte Insolvenz anmelden müssen. Dank seines belgischen Kollegen meldete er sich eindrucksvoll zurück. Schon jetzt ein Meilenstein in der Modegeschichte.

Designer wie Dries Van Noten sind mittlerweile zu einer Seltenheit geworden in Zeiten von Großkonzernen, die die Branche dominieren. Trotzdem schlüpft nun auch er unter das Dach eines deutlich größeren Unternehmens, des spanischen Mode- und Parfümgiganten Puig. Kann das gelingen?

Dries Van Noten ist jetzt 61. Er wohnt mit seinem Partner Patrick Vangheluwe, der seit Firmengründung im Unternehmen arbeitet, in einem Landhaus im benachbarten Lier. Das Herz der Firma aber schlägt in einem alten Backsteinspeicher am Hafen von Antwerpen, wo wir den ebenso zurückhaltenden wie charmanten Belgier in seinem Atelier besuchen.

Herr Van Noten, worum geht es in der Mode?

Frühere Konzepte von Mode existieren für mich nicht mehr länger. Die alten Prinzipien und Regeln wurden in den späten Sechzigern und frühen Siebzigerjahren begründet, als eine kleine Gruppe von Menschen entschied: Der Rock hat so und so lang zu sein, und diese oder jene Farbe dominiert. Mal war es Apfelgrün mit Weiß, dann wieder Braun mit Orange. Und alle Boutiquen boten Ähnliches an. Man musste – als Kunde und Designer – bestimmten Konzepten und Regeln folgen.

Welcher Regel folgt die Branche heute?

Die einzige Regel heute ist: Folge bloß keinen Regeln! Alles ist möglich. Es ist heute viel einfacher, eben keinem Mainstream zu folgen. Also muss man seine eigenen Regeln definieren, als Konsument wie als Kreativer.

Fühlen Sie sich als Designer heute freier?

Nein, ich muss ja für mich selbst noch genauer entscheiden, wer ich sein will und wie die Leute mich und meine Arbeit sehen sollen. Manche Designer ändern nur wenig in ihren Kollektionen, was ich in vielen Fällen toll finde. Ich selbst bin dagegen schnell gelangweilt und starte gern mit jeder Kollektion vor einem weißen Blatt Papier völlig neu. Nehmen Sie Luisa Casati …

… eine berühmte Society-Lady, die 1959 starb.

Sie stand für Perlen, lila Samt, Federn und Schlangenmuster – aber das war mir zu eindimensional, also habe ich es für eine Kollektion kombiniert mit Einflüssen des Schriftstellers Gabriele D’Annunzio, mit dem sie lange liiert war. Die beiden verband eine Art Hassliebe. So entstand eine Kollektion der Kontraste – maskulin und feminin zugleich. Kontraste bedeuten Realität. Das Leben an sich ist voller Kontraste. Auch wenn wir über Schönheit nachdenken, müssen wir doch zur Kenntnis nehmen, wie hässlich große Teile der Welt sind.

Vermissen Sie die Zeit, als Mode noch die Kraft hatte, Gesellschaftskritik zu üben?

Vielleicht glorifizieren wir diese vermeintliche Rolle der Mode heute auch ein wenig. Die einzige Designerin, die meiner Ansicht nach wirklich etwas wagte, war die britische Modeschöpferin Katharine Hamnett, die schon Anfang der Achtzigerjahre mit politischen Botschaften auf Oversize-T-Shirts von sich reden machte. Das war damals wirklich stark und interessant. Zu dieser Zeit sollte Mode schockieren und überraschen. Heute ist sie zum Statussymbol geworden. Mit politischen T-Shirts versucht es mittlerweile auch Maria Grazia Chiuri bei Dior. Für mehr Furore sorgt dort aber ihr für die Herrenkollektionen verantwortlicher Kollege Kim Jones.

Ist es mittlerweile aufregender, Mode für Männer zu kreieren als für Frauen?

Zurzeit kann man an vielen Orten der Welt beobachten, dass junge Männer besser angezogen sind als junge Frauen. Das kann man sogar in der Popindustrie sehen, wo sich das gleiche Phänomen bei Girl- und Boybands findet. Die jungen Mädchen sind heute mehr denn je von Sängerinnen beeinflusst. Modisch ist das nicht unbedingt der beste Ausgangspunkt.

Wie erleben Sie die Maschinerie der Modeindustrie?

Diese Maschine droht aktuell durchzudrehen. Schauen Sie sich an, wie viele Kollektionen manche Marken inzwischen auf den Markt werfen müssen! Men’s Wear, Women’s Wear, Kid’s Wear, Pre-Collections, Cruise-Collections, Prepre-Collections, Haute Couture … Ich selbst mache vier Kollektionen pro Jahr. Und das werden auch nie mehr werden. Dafür hätte ich gar nicht die Zeit. Man wird derart bombardiert mit Bildern. Und jedes muss noch lauter und eindrucksvoller sein als das davor. Es gibt keinen Platz mehr für eher kleine Gesten.

Von diesem Trend können Sie sich frei machen?

Natürlich nicht. Wenn ich an einer neuen Kollektion arbeite, muss ich mir auch schon überlegen, wie die Show dazu auf dem Smartphone aussehen wird, einfach weil die meisten Leute sie heute auf dem Handy sehen. Schon das erste Outfit auf dem Laufsteg muss optisch besonders attraktiv sein, um die Wirkung zu erhöhen.

Wie erleben Sie die allgegenwärtige Instagram-Welt?

Es ist eine gute Sache. Instagram ist extrem interessant und eine tolle Art der Kommunikation, auch um zu zeigen, wer man wirklich ist – solange man dabei ehrlich bleibt. Das ist ein bisschen die Gefahr, dass man mehr Schein als Sein präsentiert. Es ist jedenfalls eine neue Art der Realität.

Ohne Schattenseiten?

Es bleibt etwas anderes, sich heute bei Spotify Musik runterzuladen oder in einem Laden eine Schallplatte zu kaufen. Schon die Hülle war und ist ja immer Teil des Kunstwerks. Vieles kommt da übrigens gerade zurück. Junge Leute entdecken zum Beispiel wieder die analoge Fotografie. Mit dem Shoppen on- und offline ist es ähnlich: In die Stadt geht man vielleicht mit dem Wunsch, sich High Heels zu kaufen. Zurück kommt man womöglich mit flachen Ballerinas und ist sogar noch glücklicher damit. Im Netz sucht man anders: Man will schwarze Schuhe, also werden einem nur schwarze Schuhe gezeigt. Und am Ende kauft man – na? Ein paar schwarze Schuhe. Beide Prozesse haben Vorteile. Aber sie sind nicht vergleichbar.

Wie kann ein so unabhängiger Geist wie Sie in diesem schnelllebigen Geschäft überhaupt überleben?

Erfreulicherweise akzeptieren sowohl unsere http://silkebuecker.de/wordpress als auch unsere Partner im Handel, dass wir ein bisschen anders sind als die anderen. Ich vergleiche die Mode gern mit der Esskultur, und eigentlich wirkt ausgerechnet die Mode da geradezu altmodisch.

Inwiefern?

Wenn Sie früher gut essen gehen wollten, hieß das: Marmorpaläste, eine Weinkarte wie ein Buch und sechs Kellner rund um Ihren Tisch. Heute bieten Ihnen unprätentiöse Jungs in einer eher billigen Gegend der Stadt ein einziges Menü mit Weinen, von denen Sie noch nie gehört haben – ohne jeden Luxus und mit Kellnerinnen aus der Nachbarschaft. Ähnliches gilt für andere Branchen wie etwa das Hotelgewerbe. Nur die Mode hat das noch nicht begriffen und bietet weiter Marmorpaläste.

Muss sich das ändern?

Es ändert sich schon, wenn auch langsam. Vor allem ändern sich die http://silkebuecker.de/wordpress, die alles mixen – die Topmarken mit den netten Teilen vom Second-Hand-Laden um die Ecke. Ich glaube, das tut der Modebranche gut – und der Menschheit an sich ohnehin. Es hat mehr Seele, lässt mehr Realität zu. Und es ist weniger das Resultat einer anonymen Markenmaschine.

Was ging da schief?

Es gab nicht den einen Wendepunkt. Das war eher eine Evolution, die alle Industrien erleben, auch ganz klassische wie die Autoindustrie. Früher gab es in der Modebranche noch Phasen, die sehr stressig waren, und andere, die eher still verliefen. Heute gilt das ganze Jahr über der gleich hohe Druck. Allein die sozialen Netzwerke und deren Hunger nach stetig neuen Inhalten haben alles verändert. Das Gleiche gilt für die unüberschaubare große Zahl an Verkaufskanälen – Webshops, Boutiquen, Magazine, Blogs …

Wie ehrlich sind die Beteuerungen der Modeindustrie, nachhaltiger zu werden?

Meiner Meinung nach passen Mode und Ökologie nicht wirklich zusammen. Ich mag auch die Idee nicht, dass Nachhaltigkeit ein Marketinginstrument wird, um den Leuten zwar noch dieselbe Menge Kleidung zu verkaufen – aber zugleich das Gefühl, etwas für die Umwelt zu tun. Schockiert bin ich jedes Mal, wenn ich Menschen mit Tüten voller Primark-Sachen sehe, die einmal getragen und dann weggeworfen werden. Einfach weil das billiger ist, als sie zu waschen. Das ist für mich echte „Bad Fashion“.

Und Topmarken wie Sie machen’s besser?

Wir sollten uns alle nichts vormachen: Was wir tun, ist ökologisch alles andere als vorbildlich. Wir schaffen die Stoffe um die halbe Welt. Wir laden Hunderte von Leuten ein, mit dem Flugzeug nach Paris zu kommen, um sich eine Modenschau anzuschauen, die nicht länger dauert als 15 Minuten. Aber wir versuchen wenigstens, so nachhaltig wie nur irgend möglich zu sein. Und wir möchten Mode machen, die unsere http://silkebuecker.de/wordpress nicht nur kaufen, sondern bewahren und dann lange, lange tragen.

Sie selbst finden offenbar gleichermaßen Ruhe und Inspiration in Ihrem großen Garten in der Nähe Antwerpens. Wie groß ist der genau?

Rund 23 Hektar.

Wow, eher ein Park!

Wir kümmern uns da nicht um jede Parzelle. Vieles lassen wir einfach wachsen. Trotzdem kann man so einen Garten mit großer Leidenschaft pflegen – und zugleich nimmt er einen komplett gefangen. Man kommt total runter, auch wenn er einen wirklich fordert. Ich habe selbst hier im Büro einige Garten-Magazine. Mein Leben, mein Kopf – das ist ja alles ein großes Chaos von Eindrücken.

Wie kam es eigentlich zu Ihrer Kooperation im vergangenen Jahr mit der Haute-Couture-Legende Christian Lacroix?

Meine Mode muss immer ein bisschen reflektieren, wie ich die Welt gerade erlebe. Es gab im vergangenen Jahr zwei Optionen: Entweder mache ich etwas Düsteres. Die Welt ist mit dem derzeitigen Personal von Trump und Co. ja wirklich nicht in der besten Verfassung. Oder ich mache eine Kollektion, die zeigt, wie viel Lebensfreude Mode noch vermitteln kann. So stieß ich auf Couture von Lacroix aus einer Zeit, als Couture eigentlich tot war. Als wir ihn kontaktierten, fand er die Idee gleich spannend. Es war fantastisch für mich und mein Team.

Lacroix hat alle Höhen und Tiefen erlebt, die das Modegeschäft für Stars bereithält – von der Heiligsprechung bis zur Pleite seines Unternehmens. Was haben Sie von ihm gelernt?

Haha … vor allem: Mehr, mehr, mehr! Er ist in allem so herrlich verschwenderisch und überschäumend. Und trotz all seiner Ideen ist es am Ende eine Dries-Van-Noten-Kollektion geblieben. Basis waren eine weiße Jeans und ein weißes Unterhemd. Darauf haben wir alles aufgebaut … und im Fall Lacroix war das wirklich viel.

Würden Sie so eine Kooperation wieder eingehen?

Nein. Ich mag Dinge nicht, die zum System werden. Dann werden sie vorhersehbar – und langweilig. Ich will mich jedes Mal auch noch selbst überraschen.

Mode zu designen sei eine Reise, sagten Sie mal. Wie oft haben Sie schon Ihr Ziel erreicht?

Noch nie.

Klingt schrecklich.

Ich habe schon sehr oft mit dem Gedanken gespielt auszubrechen. Die Arbeit kann einen auffressen. Und es ist wirklich kein Job, den man von neun Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags macht. Auch im Urlaub würde ich gern manchmal mein Smartphone ins Meer werfen. Aber die schönen Momente des Berufs überwiegen eben noch immer.

Inzwischen haben selbst Sie sich unter die Fittiche eines größeren Konzerns begeben. 2018 übernahm das spanische Familienunternehmen Puig die Mehrheit an Ihrer Firma. Wie kam es dazu?

Ich bin jetzt 61. Irgendwann in den vergangenen Jahren wurde mir klar, dass es jemanden bräuchte, der die Zukunft meiner Firma sicherstellen kann. In den Gesprächen mit potenziellen Partnern merkte ich dann schnell: Viele Interessenten wollten uns einfach ihr eigenes System überstülpen, die Zahl der Kollektionen erhöhen, den E-Commerce ankurbeln und die Zentrale am liebsten gleich von Antwerpen nach Paris oder Mailand verlegen. Das war nichts für mich. Umso glücklicher war ich, als ich dann auf Puig stieß, die mir und der Firma alle Freiheiten lassen.

Als Geschäftsführer wurde jüngst Matteo de Rosa installiert. Sie bleiben als kreativer Kopf und Chef des Boards das eigentliche Machtzentrum. Was ändert sich dann überhaupt?

Wir waren eine große kleine Firma … nun wollen wir mit Puig eine kleine unter den Großen werden. Zum Beispiel ist jetzt eine gute Gelegenheit für uns, mal in China etwas aktiver zu werden. Ich will hier in Antwerpen auch eine Art von Organisation installieren, so dass es irgendwann ohne mich weitergehen kann. Das ist ein großer Transformationsprozess, der langsam geschehen muss. Es wird sich vieles ändern, ohne dass Sie es merken.

Haben Sie einen Fünf-Jahres-Plan, wie es für Sie selbst und das Unternehmen, das Ihren Namen trägt, weitergeht?

Die Welt erlaubt keine Fünf-Jahres-Pläne mehr. Man muss den Augenblick leben.

Sie sind die vierte Generation einer Familie von belgischen Schneidern. Was haben Sie von Ihrem Vater gelernt?

Der Rat meines Vaters war eigentlich, die Finger zu lassen vom dummen Modedesign. Wir hatten damals ja einen großen Modeladen. Ich wollte Mode kreieren, nicht in erster Linie verkaufen. „Mach es, wie du willst“, sagte er schließlich. „Aber nicht mit meinem Geld.“ Später begann er, meine Arbeit dann doch zu schätzen. Er war übrigens Hobbygärtner. Als wir unser heutiges Haus kauften mit dem großen Garten drumherum, ging er mit mir dort spazieren und sagte: „Ich muss zugeben: Wenn du einen Garten wie den hier organisieren und bezahlen kannst, dann hast du vielleicht doch die richtige Berufswahl getroffen.“ Es ging gar nicht um meinen kreativen Erfolg. Der Garten war ihm Ausweis meiner Karriere genug.

Herr van Noten, vielen Dank für das Interview.

Handelsblatt Magazine 01/2020