Modebureau Silke Bücker

From radical to realDOWNLOAD PDF

Paris, 27. September 2014. Rei Kawakubo lud für ihr Comme des Garçons Defilee zum Sommer 2015 in eine leerstehende Gießerei im 11. Bezirk, die mit ihrem heruntergekommenen Industrie-Charme einen Kontrapunkt zu den mitunter spektakulären Orten bildete, welche bei vielen renommierten Designern in der Seine-Metropole das Setting definierten.

Einen konsequenten Gegenentwurf zum klar auf Verkäuflichkeit angelegten kollektiven Tenor der Saison markiert auch Kawakubos modische Vision, eine verstörende Arie in Blutrot, die den Betrachter vom ersten bis zum letzten Look völlig in ihren Bann zog, begleitet von einem unbequemen, brachialen Soundtrack, der in den Ohren dröhnte und gleichermaßen auf den Grund zwang. Ebenso fundamental und erbarmungslos ihr Anti-Märchen von Rosen und Blut, den Insignien des Lebens und der Liebe, aber auch von Kampf und Tod. Essentielle Themen, instinktiv inszeniert mit textiler Avantgarde, die einem den Atem raubte. Ein Statement, das nachhallt und Raum für vielerlei Interpretation lässt, vor allem aber die Bedeutung und den Begriff von Mode in unserer Zeit mahnend hinterfragt.

Die reanimierte Relevanz der japanischen Designer, die den einflussreichen Stil der Belgier nun sukzessive abzulösen scheint, untermauert darüber hinaus Altmeister Yohji Yamamoto. Sein lapidarer Kommentar zum Metier, das er ebenso wie Kawakubo seit den 80er Jahren nicht nur prägt, sondern immer wieder maßgeblich vorantreibt: „Sex sells”. Alles andere als banal hingegen sein stoffgewordenes Statement, eine äußerst sensible, höchst filigrane und respektvolle Auseinandersetzung mit Verhüllung und Entblößung – bravourös!

Jede Menge Sex, aber von einer deutlich plakativeren Sorte, bot an anderer Stelle Hedi Slimane, der sein Faible für Rock’n’Roll-Chicks der 60er und 70er Jahre dieses Mal noch überspitzer zum Ausdruck brachte und fast schon stoisch Stereotype der Glam-Rock-Ära in seine Interpretation der Signatur Saint Laurent übertrug. Sein Frauenbild: verrucht, hemmungslos und arrogant, aber auch cool, selbstbewusst – und sicher für viele bestehende oder potentielle Kundinnen ganz schön anziehend. Man mag Slimane, dessen Kollektionen stets wirken wie ein (nicht immer unbedingt stilsicher) zusammengestelltes Vintage-Portfolio, mangelnde Innovationskraft vorwerfen, aber es gelingt ihm äußerst präzise, eine dunkle Energie zu triggern, einen emotionalen ‚Throwback’ in die goldenen Zeiten verwegener Freiheit, als Sex nicht nur verkaufte, sondern Lebenselixier war.

Und genau das ist die Aufgabe, die der Designer, der einst die Menswear im Hause Dior revolutionierte und als Wunderkind gefeiert wurde, im Auftrag des Investors Kering zu erfüllen hat: eine auf die messerscharf identifizierte ‚neue’ Kundin maßgeschneiderte Handschrift zu etablieren, die nachweislich über das Geschäft mit Accessoires und Taschen hinaus Begehrlichkeiten weckt. Denn betrachtet man die Kollektion in ihren Einzelteilen und lässt die klischeetriefende Inszenierung beiseite, wird eines schnell deutlich: Diese Teile bieten nicht nur den High-Street-Haien eine perfekte Vorlage, womit Popularität und Relevanz garantiert wären, sondern repräsentieren auch ein Füllhorn von Bestsellern für den hauseigenen Etat.

Ähnliches lässt sich bei Louis Vuitton beobachten, wo mit Nicolas Ghesquière ein weiteres Wunderkind nun in der zweiten Saison einen Stil propagiert, der im drastischen Gegensatz zu den überschäumenden Fantasiewelten seines Vorgängers Marc Jacobs steht. In der Silhouette bleibt Ghesquière gefällig und durchweg verkäuflich – welcome to reality! Dennoch darf man ein Stück weit aufatmen, denn seine einflussreiche Expertise bringt er meisterhaft über Innovationen im Hinblick auf Texturen, Farbwelten, Mustermixe und Details zum Ausdruck. Sein Frauenbild oszilliert auf deutlich höherem Niveau als bei Slimane zwischen perfektionistischer Schönheit mit poetischen Anklängen und popkulturreferentiellem, abgründigem Trash. Dabei ist auch seine Heldin ganz unmissverständlich ein Mädchen, insbesondere im Hinblick auf ihre ungestüme, unberechenbare und adoleszente Gefühlswelt und in Bezug auf ihre Art, Mode zu adaptieren. Denn dieses junge Ding möchte nicht bedächtig reflektieren, sondern blitzschnell besitzen.

Dass die Aufgabenstellung insbesondere für etablierte und visionäre Impulsgeber mehr denn je lautet, eine unmittelbare Begehrlichkeit zu wecken, weiß Miuccia Prada gut genug und offeriert nach einer starken Kollektion für Prada, die bedeutungsvollerweise 80er-Jahre-Avantgarde-Verweise ‚Made in Japan’ aufweist, für die kleine Schwester Miu Miu eine souverän gestylte Melange bewährter Bestseller vom Wet-Look-Mantel bis zum gegürtelten High-Waist-Rock. Stilistisch deklinierte sie sich dabei durch die Dekaden, mit einem steten Augenmerk auf bauchfreien 50s-Rüschenblusen und -bustiers, ein zigfach interpretiertes Key Piece und absoluter Umsatzgarant.

Letztere gab es auch zuhauf bei Valentino zu sehen, wo die zweifellos wundervoll ästhetische und handwerklich von großer Expertise zeugende Kollektion nicht über den Faktor der Redundanz hinwegzutäuschen vermochte – dahingehend, dass einzelne Looks frappierend denen aus vorherigen Saisons ähneln. Dahinter steckt neben einem offenkundigem Mangel an Zeit und kreativer Muße angesichts der rasanten Taktung der Branche vor allem wirtschaftliches Kalkül: Eine Vorhersehbarkeit, die vorerst das bewirkt, was sie soll. Bevorzugt der Mensch doch gerade in unsicheren Zeiten das Verlässliche und Vertraute, greift am liebsten zu dem, was sich bewährt hat und kolportiert seine immergleichen Präferenzen in Windeseile über alle verfügbaren Social-Media-Kanäle. Ziemlich kurzfristig gedacht jedoch, wenn man berücksichtigt, wie rasant sich im Zeitalter der digitalen Übermacht ein Gefühl von Übersättigung einstellt und die Neulust schier unbändig scheint. Mittelfristig könnte der Mangel an kreativer Ausdruckskraft die ohnehin schon gebeutelte Industrie also ernsthaft gefährden. Vielleicht aber müssen wir uns einfach daran gewöhnen, dass Radikalität nur noch in Nischen funktioniert und Wirkung zeigt, dass im Großen und Ganzen aber eine sukzessive Weiterentwicklung von Oberfläche, bereits das Justieren kleiner stilistischer Stellschrauben, für ein Gefühl von Dynamik ausreichen. Den Boden der Tatsachen hat die Mode schon seit einer ganzen Weile erreicht. Und ein neuer Höhenflug ist vorerst nicht in Sicht.

TM Textilmitteilungen 11/2014